Wie viele andere wehrfähige Arbeitskräfte werden ab 1940/41 auch die Steinbrucharbeiter zur Wehrmacht eingezogen. Dem herrschenden Arbeitskräftemängel wird zunehmend mit dem Einsatz von zivilen Zwangsarbeiter_innen und Kriegsgefangenen begegnet. Ab 1940 kommen belgische und französische Gefangene aus dem Kriegsgefangenenlager Stalag XVII B Gneixendorf in die Landkreise Horn und Hollabrunn, später auch russische und ukrainische Kriegsgefangene. Es kann davon ausgegangen werden, dass sich in jedem größeren Ort der Ostmark ein Sammellager/eine Sammelunterkunft für Kriegsgefangene befand. Die Zwangsarbeiter_innen in Horn und Hollabrunn werden vor allem in bäuerlichen Betrieben, Stiftsverwaltungen, für Arbeiten bei der Reichsbahn, für Bauarbeiten sowie für andere Dienste in den Gemeinden, in Mühlen, Sägewerken, usw. eingesetzt. Während westliche Kriegsgefangene durch die Genfer Konvention geschützt sind, gilt dieser Schutz für russische Kriegsgefangene nicht. Zivile Ostarbeiter müssen ab 1943 ein Quadrat mit Ost oder P an der Kleidung tragen und unterliegen verschärften Einschränkungen und Verboten. Beziehungen zu einheimischen Frauen gelten als Rassenschande und können auch zur Verbringung der deutschen Frauen in Konzentrationslager führen. Nicht mehr arbeitsfähige Zwangsarbeiter_innen müssen ebenfalls mit der Überstellung in ein Konzentrationslager rechnen. 1940 wird das das Granitwerk an den aus Zellerndorf stammenden Unternehmer Franz Geisler (1903-1966) verpachtet, dessen Familie in Zellerndorf ein Gasthaus führte und seit 1929 auch den Abbau des Zellerndorfer Steinbruchs betreibt. Hier ist der Abtransport des gewonnenen Steinguts jedoch durch eine fehlende Anbindung zum Bahnhof schwierig, was ein Grund für den Wechsel zum Granitwerk Roggendorf gewesen sein dürfte, führen hier doch Anschlussgleise direkt zum Steinbruch. Der Zellerndorfer Steinbruch wird 1942 stillgelegt. Der Pachtvertrag wird über einen Berliner Rechtsanwalt abgewickelt, es gibt keinen direkten Kontakt zum Eigentümer Leopold Popper-Podhragy. Dieser Umstand wird in der Nachkriegszeit, als es um Regressforderungen geht, bedeutsam werden. Mit Geisler wechselt auch sein Buchhalter und Betriebsführer Franz Liko (1891-1946) in das Granitwerk Roggendorf.

Quelle: Arolsen Archive

Im Falle von Arbeitskräftebedarf können über das Arbeitsamt Zivilarbeiter_innen oder Kriegsgefangene angefordert werden. Das Arbeitsamt Horn weist dem Granitwerk 1941 zivile Zwangsarbeiter_innen aus Polen und der Ukraine und später russische Kriegsgefangene zur Arbeit im Steinbruch zu, wie M.T. Litschauer in ihrer Darstellung angibt. Über diese Menschen ist bisher nur wenig bekannt. Eindeutig zum Granitwerk zugeordnet werden kann nur Claudia Selenska aus Russland, die sich mit der Adresse des Arbeiterwohnhauses Roggendorf 61 1943 und 1944 auf einer Liste des Krankenhauses Eggenburg (Arolsen Archives) findet, die medizinisch behandelte ausländische Staatsbürger ausweist. Ob die weiteren auf der Krankenhausliste genannten 27 Männer aus der Sowjetunion, der Ukraine und Polen, die zwischen 1940 und 1944 medizinisch behandelt werden und mit dem Adressvermerk Roggendorf (ohne Hausnummer) auch im Granitwerk arbeiten mussten, konnte bislang nicht geklärt werden. Madga Großberger, ein jüdisches Mädchen aus Sombor (Wojwodina), das im November 1944 zur Zwangsarbeit in den Steinbruch gebracht wird, erinnert sich im Interview (1998, Belgrad) ebenfalls an polnische und russische Zwangsarbeiter am Steinbruch. Es dürfte sich dabei um die Kriegsgefangenen gehandelt haben, die im Ziegelofen, der ehemaligen Ziegelei, in Groß-Reipersdorf untergebracht waren. Die Ziegelei befindet sich in unmittelbarer Nähe zum Steinbruchgelände. Landrat Johann Streb nennt für den Jänner 1942 die Anzahl fremdvölkischer Arbeitskräfte im Landkreis Horn: 500 Pol_innen, 500 Franzosen, 120 Serben und 20 Ukrainer. Die zum Arbeitseinsatz herangezogenen Kriegsgefangenen sind in diesen Zahlen nicht inkludiert. 

Quelle: Shoah Foundation

In den Landkreisen Horn und Hollabrunn treffen ab Juni 1942 Gruppen ungarisch-jüdischer Zwangsarbeiter_innen ein, vielfach im Familienverbund. Bei den Zwangsarbeiter_innen handelte es sich um Angehörige jener etwa 16.000 Jüd_innen aus Ungarn und der Wojwodina, die im Sommer 1944 in das Durchgangslager Strasshof an der Nordbahn verbracht wurden. Die Transporte jüdischer Familien in das Lager Strasshof waren Teil ihrer versuchten Rettung vor der Deportation in die Vernichtungslager. Nach der deutschen Besetzung werden zwischen Mai und Juli 1944 440.000 ungarische Jüd:innen in den Osten deportiert und die meisten von ihnen in Auschwitz ermordet. Ende 1944 werden jüdische Familien aus Ungarn und der Wojwodina zur Zwangsarbeit in das Granitwerk F. Geisler gebracht, zuvor waren sie in den landwirtschaftlichen Gütern des Stiftes Altenburg eingesetzt, unter anderem in Kattau, Wiesent und Therasburg. Eine Liste der ungarischen Juden zum 31. Jänner 1945 des Granitwerks F. Geisler, die die ehemalige Zwangsarbeiterin Magda Katic 1998 im Video-Interview vorweist, gibt detailliert Auskunft über die Zusammensetzung der insgesamt 29 Personen.

Ihre biografischen Daten konnten teilweise rekonstruiert werden. In der Gruppe befinden sich zwei Kinder im Alter von vier und zehn Jahren. Die erste Gruppe, darunter Magda Großberger, Julijana und Ervin Rajner sowie das Ehepaar Katic, trifft im November am Steinbruch ein. Magda Großberger wurde zuvor gemeinsam mit ihrer hochschwangeren Stiefmutter Jolan aus Sombor deportiert, ebenso wie ihr Freund Ervin und seine Mutter Julijana Rajner. Sie werden Anfang Juni in das arisierte Gut Kattau gebracht und für landwirtschaftliche Tätigkeiten eingesetzt. In einem Stall untergebracht, bekommt Jolan hier ihre Tochter Mira Ruth. Da Mira krank ist, werden Mutter und Tochter in das jüdische Spital in Wien gebracht und erleben dort das Kriegsende. Auch danach bleibt das Kind noch elf Monate im Spital, da es weiterhin sehr krank ist.

Eine weitere Zwangsarbeitsstation ist ab Mitte September das enteignete Stift Altenburg. Mitte Oktober werden die Zwangsarbeiter_innen zur Arbeit nach Therasburg gebracht.
Nach Auskunft von Magda Großberger trifft die zweite Gruppe von 13 Personen etwas später am Steinbruch ein. Es sind, so Magda Großberger, orthodoxe Familien aus Ungarn. Darunter befindet sich die Familie Halpert, die zuvor Zwangsarbeit in landwirtschaftlichen Betrieben in Wildberg, Breiteneich und Wiesent (alle Domäne Altenburg) leisten musste. Auch in Gut Wiesent herrschen brutale Bedingungen. Die Aufseher Karl Reschinsky und Ludwig Schindl werden wegen Misshandlung von jüdischen Zwangsarbeiter_innen, der Unterschlagung der spärlichen Essensrationen, Schlägen und Drohungen, nach dem Krieg vom Volksgericht Wien zu 18 Monaten bzw. einem Jahr Haft verurteilt.

Untergebracht sind die jüdischen Zwangsarbeiter_innen direkt am Steinbruchgelände, in einem bestehenden Betriebsgebäude. Dort befindet sich das Büro von Anton Wechselberger, einem Kriegsinvaliden aus Groß-Reipersdorf, der die Zwangsarbeiter_innen bewacht. Magda Großberger erzählt auch von einem ukrainischen Gefangenen und einem ungefähr zehnjährigen Kind, Žorka, die am Steinbruch arbeiteten. Wer Žorka ist und woher er stammte, ist nicht bekannt.

Auch in nahen Rohrendorf an der Pulkau ist zwischen Juli 1944 und April 1945 ein Lager für ungarisch-jüdische Zwangsarbeiter_innen eingerichtet. Sie werden für landwirtschaftliche Arbeiten wie Drainage-Arbeiten in den Feldern eingesetzt. Untergebracht sind sie in einem leerstehenden Bestandsgebäude im Ort.

Zu Beginn des Jahres 1945 rücken die Kriegsereignisse unmittelbar in die Region. In Zellerndorf wird ein Personenzug angegriffen, 21 Tote und viele Verletzte sind zu verzeichnen. Schon seit Dezember ziehen Kolonnen von Flüchtlingen durch die Bezirke Horn und Hollabrunn. Auch Wehrmachtsangehörige und Flüchtlinge aus Wien und dem östlichen Niederösterreich sind unterwegs, im April werden in Oberretzbach 21 Wehrmachtsdesserteure nach einem NS-Feldgericht erschossen. Die Lage der ungarisch-jüdischen Zwangsarbeiter_innen in der Ostmar“ ist inzwischen noch gefährlicher geworden. Im Frühjahr 1945 ergeht der Befehl zur Auflösung aller Lager für jüdisch-ungarische Zwangsarbeiter_innen und deren Evakuierung in den Westen, meistens in das Konzentrationslager Mauthausen, teilweise in das Lager Theresienstadt. Bei den Märschen kommt es zu Erschießungen von Menschen, die zu langsam sind. Die Zahl der Opfer der Evakuierungsmärsche lässt sich nicht genau beziffern. Die jüdischen Zwangsarbeiter_innen im Granitwerk F. Geisler bleiben vor Ort. In den letzten drei Wochen vor Kriegsende arbeiten die jüdischen Zwangsarbeiter_innen im Straßenbau, da es am Steinbruch keine Transportwagons mehr gibt. Madga Großberger berichtet im Interview 1998, dass sie bis zum letzten Tag arbeiten mussten. Essen gibt es kaum noch. Am Steinbruch hatte die nationalsozialistische Organisation Todt, die für den Bau und die Entwicklung von Verteidigungs- und Rüstungsanlagen verantwortlich war, Ende 1944 eine Maschinenreparaturanlage errichtet, angesichts der herannahenden sowjetischen Armee, beschließt die SS, das Gebäude wieder zu sprengen. Aus Schutz vor den Sprengungen bringt der Wächter die jüdischen Zwangsarbeiter_innen in einen Bunker, wo sie die letzte Nacht vor der Befreiung ausharren. Der Wächter erzählt den Zwangsarbeiter_innen, dass die SS die Männer erschießen und die Frauen verschleppen wolle.

Die russische Armee trifft am 8. Mai 1945 in Roggendorf ein. Auch die jüdischen Zwangsarbeiter_innen erfahren nach der im Bunker verbrachten Nacht, dass die sowjetischen Truppen in Groß-Reipersdorf angekommen sind. Mit Ankunft der sowjetischen Armee sind die jüdischen Zwangsarbeiter_innen sich selbst überlassen. Sie kehren zu Fuß oder mit Pferdewagen wieder in ihre Herkunftsländer zurück. Die Heimkehr der Kriegsgefangenen und zivilen Zwangsarbeiter_innen geht unterschiedlich schnell vonstatten. Während die französischen Kriegsgefangenen relativ schnell zurückkehren, müssen polnische Gefangene zunächst die Angehörigen der sowjetischen Armee mit Übersetzungstätigkeiten und Informationsweitergabe unterstützen. Auch die Rückkehr kann für die ehemaligen Zwangsarbeiter_innen gefährlich oder gar lebensbedrohlich werden. Im Juni 1945 werden in Sigmundsherberg vier polnische Zwangsarbeiter_innen auf dem Heimweg aus einem Lager vom fanatischen Nationalsozialisten Rudolf Wondrak erschossen. Wondrak wird vom Volksgericht Wien verurteilt und hingerichtet.

Im Juni 1946 vermeldet die Waldviertler Post, dass das Granitwerk Roggendorf wieder in Betrieb genommen wird. Franz Geisler gibt die Pacht an den Wiener Unternehmer Hans Hattey (1889-1955), der bereits seit den 1930er Jahren mit dem Granitwerk zusammenarbeitet hat, weiter. Geplant ist, dass Hattey und Franz Liko den Betrieb weiterführen. Allerdings kommt Franz Liko, der auch als Sprengmeister tätig ist, im August 1946 bei einer Explosion im Steinbruch ums Leben.Leopold Popper-Podhragy, der sich noch im Londoner Exil befindet, ist mit der Weitergabe der Pacht durch Franz Geisler nicht einverstanden und erhebt Klage bei der Rückstellungskommission beim Landesgericht Wien. 1948 zieht ein ehemaliger Steinbrucharbeiter mit seiner Familie in das Werksgebäude am Steinbruchgelände. Popper-Podhragy erwirkt 1953 einen Räumungsbescheid gegen die Arbeiterfamilie, die seiner Darstellung nach ohne Erlaubnis die Wohnung in Anspruch genommen hat. Es ergeht der Bescheid der Rückstellungskommission, dass der Pachtvertrag von 1941 nichtig sei und somit der Steinbruch auch nicht von der Firma Hans Hattey K.G. betrieben werden kann. Die Rückstellungskommission hält fest, dass der Pachtvertrag aus dem Jahr 1941 als Vermögensentzug gewertet werden kann. Ebenso sei Popper-Podhragy als jüdischer Mischling und überdies wegen konkreter gegen ihn gerichteter Verfolgungsakte während der Besetzung Österreichs politischer Verfolgung unterworfen gewesen. Der Betrieb wird im September stillgelegt und 50 Arbeiter entlassen. Franz Geisler und Hans Hattey legen gegen das Erkenntnis Beschwerde ein und fordern die Rückstellung entzogenen Vermögens im Wert von 15.000.- Schilling. Die Beschwerde wird von der Rückstellungskommission allerdings abgelehnt.

Hans Hattey ist über das Vorgehen empört und schreibt an die Gemeinde Groß-Reipersdorf seine Version der Geschichte, die den Wiederaufbauwillen von wirklichen Oesterreichern den Forderungen ausländische(r) Juden gegenüberstellt. Im März 1951 wird zur Sicherung der Arbeitsplätze ein öffentlicher Verwalter bestellt, da, so der entsprechende Bescheid, der inzwischen in Salzburg wohnhafte Leopold Popper-Podhragy aufgrund von Schwierigkeiten beim Überschreiten der Demarkationslinie den Betrieb nicht selbst übernehmen könne. Leopold Popper-Podhragy möchte den auslaufenden Pachtvertrag mit der Gemeinde Groß-Reipersdorf verlängern. Da dies nicht zustande kommt, legt er 1952 legt er die Gewerbeberechtigung für die Granitwerke Roggendorf Hammer & Co. zurück. Die am Gelände befindlichen Gebäude verbleiben weiter in seinem Besitz. Die Geschichte der Rückstellung und damit der damit verbundenen Schließung des Betriebes geht nicht in die Lokalgeschichte ein. Das Areal wird zum Freizeitgelände mit Badeteich, später Kultur- und Veranstaltungsort.

Edith Blaschitz

Verwendete Quellen:

Archive, Archivbestände und Datenbanken: ANNO – historische Zeitungen und Zeitschriften (https://anno.onb.ac.at); Archiv Geologische Bundesanstalt, Wien; Archiv KZ-Gedenkstätte Dachau; Archives of Vojvodina, https://www.arhivvojvodine.org.rs/; Arolsen Archive (https://collections.arolsen-archives.org); Billion Graves, https://billiongraves.com; Centropa (https://www.centropa.org/de); Dokumentationsarchiv des Österreichischen Widerstandes, Wien (https://www.doew.at/personensuche); Gemeindearchiv Pulkau (inkl. Gemeindearchiv Groß-Reipersdorf); Gendarmeriechronik Röschitz (Polizeidienststelle Eggenburg); Geni (a myHeritage Company, Geni.com); JewishGen (https://www.jewishgen.org/databases/; Museum of Hungarian speaking Jewry, Safed (http://www.hjm.org.il); Pfarrarchiv Roggendorf (Diözesanarchiv St. Pölten); Niederösterreichisches Landesarchiv (Bestand BH Hollabrunn, BH Horn); Pfarrmatriken Pulkau, Roggendorf, Klein-Jetzelsdorf, Zellerndorf (https://data.matricula-online.eu/); Sammlung Kurt Linsbauer, Eggenburg; Schulchronik Pulkau (Neue Mittelschule Pulkau); United States Holocaust Memorial Museum, Database of Holocaust Survivor and Victim Names (https://www.ushmm.org/remember/resources-holocaust-survivors-victims/database-of-holocaust-survivor-and-victim-names); USC Shoah Foundation: Visual History Archives (https://vha.usc.edu/home); Waldviertler Eisenbahnmuseum, Sigmundsherberg; Wiener Stadt- und Landesarchiv (Volksgerichtsakten); Wiener Wiesenthal Institut, Archiv, Projekt Zwangsarbeit; Yad Vashem: The Central Database of Shoah Victims’ Names (https://yvng.yadvashem.org/index.html?language=en).

Interviews und Auskünfte: Video-Interviews: Franz B.; Maria E.; Hilde K., Pulkau; Helene S., Herta W., Groß-Reipersdorf (alle Groß- Reipersdorf), Erich L., Rohrendorf an der Pulkau; Erika T., Zellerndorf; Mai 2022, Interviewerin: Edith Blaschitz, Kamera: Clemens Baumann, verfügbar auf: https://pulkau.topothek.at); Wilhelm Liko, Salzburg (Interview gem. mit Martin Krenn, Kamera: Georg Vogt, August 2022); Audio-Interview Friedrich D., Roggendorf (Interviewerin: Edith Blaschitz, Juli 2022); Video-Interview Magda Berger (Großberger), Belgrad 1998, Interviewer: Miroslav Ribner; verfügbar in: USC Shoah Foundation: Visual History Archives (https://vha.usc.edu/home); Interview Magda Katic- Pantic (Katic-Kaldor), Interviewer: Aleksandar Gaon, Novi Sad 1998, verfügbar in: USC Shoah Foundation: Visual History Archives (https://vha.usc.edu/home); Schriftliches durchgesehenes Protokoll: Mirjam Rajner, Jerusalem (Juli 2022); Ferdinand Melichar: DA WAR NIX. (unpublizierter Text, o.O.) 13.12.2021; Auskünfte: Emmerich Grath, Röschitz; Edith Halpert, New York; Andrea Jäger, Retz/Wien; Mira Ruth Knei Paz, Jerusalem; Herbert Puschnik, Pulkau; Walter Scheidl, Altenburg; Teilnehmende der Geschichtswerkstatt, Pulkau, März-Juni 2022.

Primär- und Sekundärliteratur: Bursac, Aleksandar, Durdev, Petar, Todorovic, Vladimir: Deportation of the Jews of Bačka in 1944. Novi Sad – Ramat Gan: Archives of Vojvodina 2021; Eminger, Stefan: Ausländische Zwangsarbeit in Niederdonau Ein Überblick. In: Heinz Arnberger / Claudia Kuretsidis-Haider (Hg.): Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, mandelbaum verlag 2011, S. 164-180; Fuchs, Alois: 150 Jahre Pfarre Roggendorf. Eggenburg: Preßvereins-Druckerei 1934; Haas, Hanns: Juden im „Ständestaat“ am Beispiel des politischen Bezirkes Horn/Niederösterreich, In: Gertrude Enderle-Burcel/Ilse Reiter-Zatloukal (Hg.): Antisemitismus in Österreich, Wien 2018, S. 1023-1060; Heilinger, Engelbert: Chronik von Pulkau, 1995, 2. Aufl. (1. Auf. 1933); Krippl, Maria, 1. Hartes lnquisitionsgericht, in: Erwin Frank (Hg.), Zeitzeugen der Besatzungszeit. 1945-1955 Bezirk Horn, Nö. Bildungs- und Heimatwerk und Dorferneuerungskomitee, OSR Erwin Frank, Dir. Leo Nowak im Eigenverlag, 2. Aufl. 1996. S 9-11; Kurij, Robert: Nationalsozialismus und Widerstand im Waldviertel. Die politische Situation 1938-1945. Horn: Waldviertler Heimatbund 1987; Lappin, Eleonore/ Uslu-Pauer, Susanne / Wieninger, Manfred: Ungarisch-jüdische Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter in Niederösterreich 1944/45 (Studien und Forschungen aus dem NÖ Institut für Landeskunde 45), St: Pölten 2006; Lappin-Eppel, Eleonore: Erinnerungszeichen als Opfer des Zwangsarbeitereinsatzes ungarischer Juden und Jüdinnen in Niederösterreich 1944/45, in: Heinz Arnberger/Claudia Kuretsidis-Haider (Hg.), Gedenken und Mahnen in Niederösterreich. Erinnerungszeichen zu Widerstand, Verfolgung, Exil und Befreiung, Wien 2011, S. 60-86; Lappin-Eppel, Eleonore: Ungarisch-Jüdische Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen in Österreich 1944/45. Arbeitseinsatz – Todesmärsche – Folgen, Wien/Berlin 2010; Litschauer, Maria Theresia: 6|44 – 5|45 Ungarisch-Jüdische ZwangsarbeiterInnen. Ein topo|foto|grafisches Projekt, Wien 2006; Mayr, Christa: Das Jahr 1945 im Bezirk Horn. Horn, Waidhofen an der Thaya: Waldviertler Heimatbund 1994; Mochty-Weltin Christina/Ernst Bezemek, Ernst/ Wilhelm Ostap, Wilhelm: Heimat Zellerndorf, Deinzendorf, Dietmannsdorf, Pillersdorf, Platt, Watzelsdorf, Zellerndorf 2000; Mulley, Klaus-Dieter: Spurensicherung – Hollabrunn 1918-1945. In: Ernst Bezemek / Willibald Rosner: Vergangenheit und Gegenwart. Der Bezirk Hollabrunn und seine Gemeinden. Hollabrunn 1993, S. 174-209; Müllner Johannes: Heimatbuch der Orte Roggendorf und Klein Jetzelsdorf. Roggendorf 1973; Polleroß, Friedrich (Hg.): Jüdische Familien im Waldviertel und ihr Schicksal. Horn, Waidhofen an der Thaya: Waldviertler Heimatbund 2018; Rauscher, Heinrich: Industrie im Waldviertel, In: Das Waldviertel, 1931; Röck, Erwin: Wirtschaft, in: Puschnik, Herbert u. Herta: Pulkau. Stadtgeschichte, Kunst, Kultur, 1998, S. 174-180. [Herbert Puschnik]: Informationstafel, Steinbruch Gr. Reipersdorf.

Memory Spaces

Ein digitales Gedächtnis mit Lücken. Die Worte und Bilder erklingen auf Weiß. Man hört Spuren und Verweise, Wege und Kurven, die dorthin führen wo man gerade steht. Das was man hört ist nur möglicherweise das was man sieht. Der Zusammenhang formt sich im Hintergrund. 

Ein Blick zurück: In der Zeit des Nationalsozialismus gab es in Österreich tausende Orte, an denen sich Arbeitslager und lagerähnliche Unterbringungen befanden. Der Granitsteinbruch in den KastralgemeindenRoggendorf und Großreipersdorf ist einer davon. Einer von Vielen. Zwangsarbeiter_innen aus Polen, der Ukraine, Kriegsgefangene aus Russland, sowie Ende 1944 auch ungarische Jüd_innen mussten dort Zwangsarbeit leisten. Die jüdischen Familien aus Ungarn und der Wojwodina, die zuvor in den landwirtschaftlichen Gütern des Stiftes Altenburg eingesetzt worden waren, wurden in Steinbaracken direkt am Steinbruchgelände untergebracht. Nachdem die russische Armee 1945 in Roggendorf eingetroffen war, blieben die Zwangsarbeiter_innen sich selbst überlassen. 1950 wurde die 1941 erfolgte Verpachtung des Steinbruchbetriebes, die ohne Zustimmung des sich aufgrund seiner halbjüdischen Herkunft im Exil befindenden Steinbruchbesitzers durchgeführt wurde, für nichtig erklärt. Der Betrieb wurde geschlossen, Bemühungen des rechtmäßigen Besitzers um die Weiterführung blieben erfolglos. Das Areal wurde zum Freizeitgelände mit Badeteich, später Kultur- und Veranstaltungsort. Einige der Gebäude sind inzwischen zu Ruinen geworden, von Pflanzen und Zeit überwachsen, stehen sie noch heute auf dem ehemaligen Lagergelände. Wie so oft, hier und da und irgendwo anders auch. 

Ausgehend von der örtlichen Biographie sucht die Arbeit Memory Spaces nach einer Verortung der Vergangenheit innerhalb der Gegenwart. Eine Vergangenheit die wie so oft bewusst verborgen bleibt, durch vage Andeutungen verschleiert, obwohl bereits ein öffentliches Bewusstsein geschaffen wurde. 

Memory Spaces kennen den konkreten Ort, vernetzen sich durch Erinnerungen weiter. Geographische Grenzen werden überwunden, zurückgelassen. Dort wo sich selten etwas ändern wird. Ein kollektives Gedächtnis dient als Fundus der Fragmente, die sich zu einer neuen Erzählung formen können.

Auf einer Website werden unterschiedliche Erzählungen mit Aufnahmen der Orte kontrastiert, die in einem Verhältnis zu-, und miteinander stehen. Diese Stimmen formulieren Ansätze, verweisen auf Dokumente, die dem Blick verborgen bleiben. Das Bild zum Wort muss man sich erstmal vorstellen, bewegt oder statisch, manchmal in schwarz-weiß. Erst später werden sich die Worte zu Bildern auflösen. Nutzer_innen werden eingeladen einen digitalen Raum zu betreten, anhand bestimmter Spuren Orte mittels Stimmen zu besuchen. Dieser Raum versucht Andeutungen zu formulieren, Erinnerungen zu definieren, auf das Geschehene und Gesehene.Leerstellen, Bruchstücke und Fragmente von Geschichte dienen als Ausgangspunkt. Dahinter ein Film: Der Blick fällt hier auf das heutige Gelände aus der Drohnen-Perspektive, während eine Archäologin über historische Luftbildaufnahmen spricht, das Bild erweitert. Genau hier haben diese Ereignisse stattgefunden, scheinen die Aufnahmen zu erzählen. Die Orte selbst unterscheiden sich kaum von den vielen anderen und immer gleichen Orten in Österreich, die man aus dem Alltag kennt. Wie so oft, hier und da und irgendwo anders auch. Das was man sieht ist nur möglicherweise das was man denkt. Auf einer weiterführenden Ebene der Seite wird ein historischer Bezug zu den Dokumenten sichtbar, der dem Fragment zugrunde liegen könnte. Den Nutzer_innenbleibt es selbst überlassen Relationen herzustellen. Die digitalen Spuren bleiben hierbei nicht in einem Status der Reflexion stehen, sondern verorten die gewaltsame Geschichte auch jenseits des virtuellen Erinnerungsraumes. Eine erweiternde Installation dient als Möglichkeit, den ortsspezifischen Aspekt der Arbeit in Institutionen oder Museen zugänglich zu machen, ein Bewusstsein vor Ort zu schaffen. Das was man sieht ist nur möglicherweise das was es ist. Der Zusammenhang formt sich im Hintergrund.

Memory Spaces
Website, Installation
Rosa Andraschek, 2023

Stimmen Edith Blaschitz, Mira Knei-Paz, Claudia Theune
Historische Recherche Edith Blaschitz

Gestaltung Website Lukas Graf
Gestaltung Druck Paul Jürgens

Kamera, Sound Liam Noack
Soundmixing Manuel Bachinge

Drohnenaufnahme Stefan Killian
Texte Ada Karlbauer und Rosa Andraschek, Martina Genetti
Realisiert im Rahmen des Projektes Spuren lesbar machen – Labor zu Kunst, Partizipation und digitalen Räumen, spurenlesbarmachen.at